CAR-T-Zellen haben schwere Nebenwirkungen

CAR-T-Zellen bekämpfen Krebs, geraten aber leicht außer Kontrolle: Eine massive Entzündungsreaktion kann dann lebensbedrohliche Ausmaße annehmen.

Zytokinfreisetzung-Syndrom

Botenstoffe des Immunsystems können eine schwere Entzündungsreaktion auslösen

Unwohlsein, Schüttelfrost, hohes Fieber – wenige Tage nach Beginn einer CAR-T-Zelltherapie können sich schwere Probleme einstellen. Verschlimmert sich der Verlauf, können lebenswichtige Organe versagen. Eine Einweisung auf die Intensivstation wird unvermeidlich. Die CAR-T-Zellen – eigentlich als Mittel gegen Krebs gedacht – bringen den Behandelten an den Rand des Todes.

Die hohe Wirksamkeit der CAR-T-Zellen wird in diesen Fällen zum Problem. Treffen sie im Körper auf eine große Zahl von Krebszellen, lösen sie in kurzer Zeit eine starke Entzündungsreaktion aus. Der ganze Körper wird dabei in Mitleidenschaft gezogen1. Mit leichten Nebenwirkungen muss fast jeder Behandelte rechnen, in etwa einem Drittel der Fälle können sie schwere bis lebensbedrohliche Formen annehmen.

Zytokinsturm – eine überschießende Entzündungsreaktion

Die Nebenwirkungen hängen häufig mit dem Zytokinfreisetzungs-Syndrom zusammen2. Startpunkt dieser entzündlichen Reaktion ist ein im Grunde positives Ereignis: Die CAR-T-Zellen haben ihr Ziel erkannt und nehmen ihre Arbeit auf. Dabei schütten sie Botenstoffe aus, die weitere Ressourcen im Kampf gegen den Krebs mobilisieren.

Zytokine wie Interferon-γ und Interleukin-6 locken weitere Immunzellen an und erleichtern deren Aktivierung. Dabei lösen sie aber auch die typischen Symptome einer Entzündung aus, deren Auswirkungen in leichteren Fällen meist als Zytokinfreisetzungs-Syndrom (cytokine release syndrome) bezeichnet werden. Werden die Folgen jedoch lebensbedrohlich, sprechen Ärzte von einem Zytokinsturm.

Aus den bisherigen Studien lässt sich ungefähr abschätzen, wie hoch das Risiko von Nebenwirkungen ist. Ungefähr die Hälfte der Patienten litt unter hohem Fieber, das innerhalb weniger Stunden oder auch erst nach einer Woche einsetzen kann. Von zehn behandelten Patienten fällt bei bis zu vier Patienten der Blutdruck dramatisch ab, in einem Einzelfall ist es sogar zu einem Herzstillstand gekommen. Etwa einer von zehn Patienten leidet unter so schwerer Atemnot, dass eine künstliche Beatmung notwendig werden kann. Zusätzlich können noch weitere Organe wie Gehirn, Nieren und Darm in Mitleidenschaft gezogen werden.

Als wirksame Therapie hat sich ein entzündungshemmendes Mittel erwiesen, dass die Aktivität des Interleukin-6 hemmt. Wichtig ist zudem eine rechtzeitige Einweisung auf die Intensivstation, wo die kritische Phase meist gut überstanden wird. Der Zytokinsturm ebbt nach wenigen Tagen ab, und die geschädigten Organe können sich in der Regel wieder vollständig erholen.

Neurotoxizität – von Kopfschmerzen bis zum Hirnödem

Etwa die Hälfte der Behandelten erlebt auch neurologische Probleme – von Wortfindungsstörung und Verwirrtheit bis hin zu Krämpfen und Koma. Dies ist eine Form der Neurotoxizität, für die der Begriff immune effector cell-associated neurotoxicity syndrome (ICANS) geprägt wurde1. Die Symptome treten meist im Anschluss an ein Zytokinfreisetzungs-Syndrom auf. Mit der Zeit legen sich auch diese Probleme wieder, meist ohne bleibende Schäden zu hinterlassen.

Die Ursache der neurologischen Symptome ist noch nicht vollständig geklärt, es scheint aber ein enger Zusammenhang mit dem Zytokinfreisetzungs-Syndrom zu bestehen. Es gibt Hinweise, dass Entzündungsfaktoren und aktivierte Immunzellen in das Gehirn vordringen. In schweren Fällen kommt es auch zu Wassereinlagerungen im Gehirn, die in seltenen Fällen tödlich enden können.

Die neurologischen Probleme müssen in schweren Fällen auf der Intensivstation behandelt werden. Häufig wird zusätzlich die Entzündungsreaktion mit Kortikosteroiden unterdrückt.

Angriff auf den eigenen Körper

Meist tritt noch ein weiteres Problem auf: CAR-T-Zellen attackieren fast immer auch gesundes Gewebe. Diese Nebenwirkung lässt sich kaum vermeiden, da Krebszellen sich nur in wenigen Merkmalen (Antigenen) von normalen Körperzellen unterscheiden. Es ist für Forscher daher fast unmöglich, den künstlichen Rezeptor dieser T-Zellen – CAR genannt – so zu konstruieren, dass er eine perfekte Zielgenauigkeit aufweist.

Bei Leukämien und Lymphomen ist dieses Problem beherrschbar. CAR-T-Zellen richten sich hier meist gegen das Oberflächenprotein CD19, das auf fast allen Krebszellen zu finden ist. Es kommt jedoch auch auf den natürlichen B-Lymphozyten vor: Diese Immunzellen produzieren Antikörper, die den Körper vor Infektionen schützen.

Die CAR-T-Zellen beseitigen daher neben den Krebszellen auch die B-Lymphozyten – eine wichtige Komponente im Schutz vor Infektionen geht damit verloren. Diese sogenannte B-Zell-Aplasie lässt sich jedoch relativ problemlos ausgleichen: Die Patienten erhalten Transfusionen von Blutplasma oder Antikörper-Präparaten. Und da CAR-T-Zellen nur begrenzte Zeit im Körper überleben, kehren auch die B-Lymphozyten letztlich wieder zurück – allerdings kann dies bis zu zwei Jahre dauern.

Problemfall solide Tumore

Wenn sich CAR-T-Zellen jedoch gegen lebenswichtige Organe richten, bleibt dem Patienten deutlich weniger Zeit – es können rasch lebensbedrohliche Situationen entstehen. Vor allem beim Kampf gegen sogenannte solide Tumore (etwa in Brust, Leber und Gehirn) ist die Gefahr von Verwechslungen groß3. Marker, die anfangs als spezifisch für den Krebs galten, tauchen in anderen Geweben auf und führen zu schweren Komplikationen.

Einer dieser Fälle trat bei der Behandlung von Nierenkrebs auf. Schon früh nach Beginn der Therapie wiesen vier Patienten teils drastisch veränderte Blutwerte auf – Anzeichen für einen schweren Leberschaden4. In einer Analyse von Gewebeproben zeigte sich, dass die CAR-T-Zellen auch zu den Gallengängen gewandert sind: In diesen Bereichen der Leber fand sich der gleiche Marker, über den eigentlich der Nierenkrebs behandelt werden sollte. Teile der Studie mussten daraufhin vorzeitig abgebrochen werden.

Deutlich dramatischer verlief ein anderer Fall. CAR-T-Zellen sollten einer Frau mit Darmkrebs helfen, die bereits Metastasen in Leber und Lunge aufwies5. Doch schon 15 Minuten nach Beginn der Behandlung litt die Frau unter schwerer Atemnot, und eine Röntgenuntersuchung zeigte eine dramatische Ansammlung von Immunzellen in der Lunge. Fünf Tage später verstarb die Patientin. Die Ärzte vermuten, dass nicht der Krebs, sondern das Lungengewebe die CAR-T-Zellen so stark aktiviert hat, dass ein tödlicher Zytokinsturm die Folge war.

Wer sich auf eine Behandlung mit CAR-T-Zellen einlässt, muss mit schweren Nebenwirkungen rechnen. Diese Probleme werden auch in Zukunft nur schwer zu lösen sein. Eine Anwendung kommt also vor allem dann in Frage, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.

1 Morris et al., Cytokine release syndrome and associated neurotoxicity in cancer immunotherapy, Nature Reviews Immunology, Februar 2022 (Link)
2 Fajgenbaum und June, Cytokine Storm, New England Journal of Medicine, Dezember 2020 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 Wagner et al., CAR T Cell Therapy for Solid Tumors: Bright Future or Dark Reality?, Molecular Therapy, November 2020 (Link)
4 Lamers et al., Treatment of metastatic renal cell carcinoma with CAIX CAR-engineered T cells: clinical evaluation and management of on-target toxicity, Molecular Therapy 2013 (Link)
5 Morgan et al., Case report of a serious adverse event following the administration of T cells transduced with a chimeric antigen receptor recognizing ERBB2, Molecular Therapy 2010 (Link)

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Der Zytokinsturm ist eine häufige und gefürchtete Nebenwirkung der Therapie mit CAR-T-Zellen

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Kurz und knapp

  • CAR-T-Zellen lösen schwere Nebenwirkungen aus, bis hin zum Todesfall
  • eine starke Aktivierung der CAR-T-Zellen löst die Freisetzung von Botenstoffen aus, die eine Entzündungsreaktion verursachen
  • im schlimmsten Fall entsteht dabei ein lebensbedrohlicher Zytokinsturm
  • CAR-T-Zellen können schwer zwischen Krebs und gesundem Gewebe unterscheiden
  • bei der Behandlung von Leukämien und Lymphomen greifen CAR-T-Zellen auch B-Lymphozyten an
  • bei der Behandlung von soliden Tumoren wurden in manchen Fällen lebenswichtige Organe angegriffen
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