Glybera – die erste Gentherapie fand nur eine Patientin

Glybera sollte bei einer seltenen Stoffwechselkrankheit helfen. Die Gentherapie erwies sich jedoch als Fehlschlag: zu teuer, zu wenig wirksam und nur eine zahlende Patientin.

Gentherapie Glybera

Glybera – erste Gentherapieder westlichen Welt

Das Jahr 2012 erlebte einen (scheinbaren) Durchbruch: Nach Jahrzehnten der Entwicklung präsentierte die westliche Medizin ihre erste Gentherapie. Die Ernüchterung war groß, als Glybera erst nach drei Jahren die erste zahlende Patientin fand. Und mehr werden auch nicht dazukommen – der Hersteller uniQure nahm Glybera nur fünf Jahre später wieder vom Markt.

Glybera war für die Behandlung einer äußerst seltenen Erbkrankheit gedacht, der Lipoprotein-Lipase-Defizienz (LPLD): In Deutschland leben höchstens 40 Menschen mit LPLD, europaweit sind es kaum mehr als 2001. Eine Genmutation verursacht den Verlust eines Enzyms, das den Abbau von Fettmolekülen aus der Nahrung einleitet2.

Lebensbedrohliche Fette im Blut

Ohne diese Lipoprotein-Lipase reichert sich das Fett im Blut an und kann lebensgefährliche Komplikationen auslösen. Eine strenge Diät war bislang die einzige Möglichkeit, um den Patienten ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen.

Doch manche Patienten bewahrt selbst die gewissenhafte Einhaltung der Diät nicht vor Problemen. Zu diesen gehörte auch eine etwa 40-jährige Frau aus Deutschland, die so viele Fettmoleküle in ihrem Blut hatte, dass es so dickflüssig wie Schlagsahne wurde2. Die Folge waren heftige Entzündungen der Bauchspeicheldrüse (Pankreatitis), die nur im Krankenhaus behandelt werden konnten. 40 Einweisungen hatte die Frau bereits hinter sich.

Als letzte Hilfe blieb nur eine Gentherapie. Glybera nutzte dazu veränderte Viren (oder virale Vektoren, wie Mediziner sie nennen), um das Gen für das fehlende Enzym in den Körper der Patienten einzuschleusen3. Zellen im Muskelgewebe produzierten dann das lebenswichtige Enzym und schütteten es in die Gefäße aus, wo es das Blut von den überschüssigen Fetten befreien sollte.

Glyberas erste Patientin in Berlin

An der Charité in Berlin fand sich eine Ärztin, die der geplagten LPLD-Patientin durch eine Behandlung mit Glybera helfen wollte2. Die erforderliche Dosis von Glybera enthielt 60 Billionen virale AAV-Vektoren, die mit 40 Injektionen über beide Oberschenkelmuskel verteilt wurden. Eine schmerzhafte Prozedur – mit anfangs noch unklaren Erfolgsaussichten.

Denn die Wirksamkeit von Glybera erwies sich schon in den ersten Studien als beschränkt. In Holland und Kanada hatten gerade einmal 27 LPLD-Patienten die Gentherapie getestet: Die Blutfettwert senkten sich dabei nur zeitweilig, und die Patienten mussten weiterhin strenge Diät halten4. Doch die Zahl der gefährlichen Pankreatitis-Anfälle nahm spürbar ab – die Betroffenen gewannen ein wichtiges Stück Lebensqualität zurück.

Positiv war auch, dass sich die Nebenwirkungen von Glybera in Grenzen hielten. Zwar litten viele Patienten an Schmerzen in den Beinen, manche klagten auch über Kopfschmerzen, Müdigkeit und Hyperthermie4. Aber angesichts der Qualen einer Pankreatitis galten diese Nebenwirkungen als vertretbar.

Zulassung trotz begrenzter Wirksamkeit

Zudem fehlt es den LPLD-Patienten an Alternativen – in schweren Fällen ist Glybera die einzige Option. Damit gilt Glybera als "Orphan Drug" – eine Therapie, für die es keine Alternativen gibt. Die europäische Gesund­heits­behörde räumt Orphan Drugs einen besonderen Status ein1, und dies trug letztlich dazu bei, dass Glybera – trotz offenkundig beschränkter Wirksamkeit – die Zulassung in Europa erhielt.

Mit der Zulassung waren aber nicht alle Hürden beseitigt. Die Entwicklung von Glybera zog sich über viele Jahre hin8 und hat sehr viel Geld gekostet, das sich der Hersteller – die holländische Firma uniQure – nun bei einer kleinen Zahl von Patienten zurückholen muss. Die Behandlung an der Berliner Charité schlug daher mit 900 000 Euro zu Buche. Und da die Dosis vom Körpergewicht abhängt, hätte bei anderen Patienten leicht die Millionengrenze überschritten werden können.

Kostenpunkt: Eine Million Euro

Dieser Preis hat heftige Diskussionen ausgelöst. In Frankreich weigern sich die Behörden, diese Kosten zu übernehmen. Und in Deutschland wurden die Preisverhandlungen ergebnislos abgebrochen, da das zuständige Gremium den Zusatznutzen nicht festlegen wollte. Jede Behandlung wird als Einzelfall entschieden – was der Ärztin an der Charité einen enormen bürokratischen Aufwand bescherte.

Unter diesen Umständen war die Aussicht auf weitere Patienten gering – und schließlich wurde es dem Hersteller uniQure zu viel. Für die kleine Firma entwickelte sich Glybera zu einem Verlustgeschäft, das nicht mehr tragbar war. Ein Antrag auf Zulassung in den USA wurde im November 2015 zurückgezogen6, und im April 2017 fiel auch die Entscheidung, die Zulassung in Europa nicht zu verlängern9. Im Oktober 2017 wurde Glybera wieder vom Markt genommen.

Aber wenigstens die Patientin an der Charité darf sich freuen – ein Jahr nach der Therapie berichtete sie über eine deutliche bessere Lebensqualität7. Und auch eine weitere Errungenschaft ist Glybera nicht zu nehmen: Sie hat den Weg für neue Gentherapien geebnet, die mehr Aussicht auf Erfolg haben.

1 L. Klein, Glybera-Therapie kostet 1,1 Millionen Euro, DAZ.online, November 2014 (Link)
2 S. Karberg, Gentherapie senkt Fettgehalt des Blutes, Tagesspiegel, Oktober 2015 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 EMA Zusammenfassung des EPAR für die Öffentlichkeit (Link)
4 EMA, Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels (Link)
5 A. Regalado, The World’s Most Expensive Medicine Is a Bust, MIT Technology Review, May 2016 (Link)
6 BioInsights, UniQure drops plans to seek FDA approval for Glybera (Link)
7 D. Schramm, Aufgeben? Auf keinen Fall!, DAK-Gesundheitsmagazin, Januar 2017, Seite 28
8 Bryant et al., Lessons Learned from the Clinical Development and Market Authorization of Glybera, Human Gene Therapy Clinical Development, Juni 2013 (Link)
9 Pressemitteilung uniQure, uniQure Announces It Will Not Seek Marketing Authorization Renewal for Glybera in Europe, 20. April 2017 (Link)

Gentherapie Glybera

Glybera – erste Gentherapieder westlichen Welt
Die Gentherapie Glybera behandelt die Erb­krankheit Lipoprotein-Lipase-Defizienz, bei der eine Genmutation den Abbau von Fett­molekülen aus dem Blut verhindert.

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Kurz und knapp

  • Glybera (Alipogene Tiparvovec) war die erste Gentherapie, die in der westlichen Welt Zulassung fand
  • sie behandelte die erbliche Stoffwechselkrankheit Lipoprotein-Lipase-Defizienz (LPLD), die etwa einen von einer Million Menschen betrifft
  • Glybera nutzte einen viralen AAV-Vektor, um das Gen für die Lipoprotein-Lipase in Muskelzellen zu transportieren
  • erste Studien zeigten, dass die Gentherapie nur begrenzt wirksam war
  • die Kosten für Glybera betrugen pro Patient etwa 1 Millionen Euro
  • kommerziell kam Glybera nur bei einer einzigen Patientin in Berlin zum Einsatz
  • im Oktober 2017 wurde Glybera wieder vom Markt genommen
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