Libmeldy – Gentherapie gegen metachromatische Leukodystrophie

Die Gentherapie Libmeldy hilft Kindern, denen ein Stoffwechselenzym fehlt. Ein Eingriff in Blutstammzellen gleicht den lebensbedrohlichen Mangel aus und ermöglicht eine fast normale Entwicklung.

Libmeldy

Libmeldy - Gentherapie gegen metachromatische Leukodystrophie

Die metachromatische Leukodystrophie ist eine erbliche Stoffwechselkrankheit, die bei Kindern zu schweren Behinderungen und zum Tod führt. Die Gentherapie Libmeldy bietet erstmals die Möglichkeit, die Ursachen dieser Erkrankung zu behandeln.

Libmeldy wurde im Dezember 2020 in der Europäischen Union zugelassen1, die erste Behandlung in Deutschland fand Anfang 2022 statt2. In den USA wurde die Gentherapie unter dem Namen Lenmeldy im März 2024 zugelassen3.

Der Listenpreis von Libmeldy beträgt in Deutschland 2,88 Millionen Euro, damit gehört die Gentherapie zu den teuersten Medikamenten der Welt.

Die Krankheit – metachromatische Leukodystrophie bei Kindern

Die metachromatische Leukodystrophie (MLD) ist eine seltene Erbkrankheit, die schwere Schäden an Nervenzellen hervorruft4. Etwa 1 von 40 000 Neugeborenen ist von der MLD betroffen5.

Es werden drei Formen unterschieden, die in unterschiedlichen Lebensaltern einsetzen. Die spätinfantile MLD setzt in den ersten 30 Lebensmonaten ein und nimmt ein besonders schweren Verlauf: Die Betroffenen leiden unter einem schrittweisen Verlust der motorischen und geistigen Fähigkeiten. Sie versterben meist noch im Kindesalter. Der Verlauf der später einsetzenden juvenilen und adulten Formen ist langsamer und variabler.

Verursacht wird die MLD durch einen Defekt im Gen für das Enzym Arylsulfatase A (ARSA). Dieses Stoffwechselenzym baut Substanzen ab, die als Sulfatide bezeichnet werden. Der Mangel an Arylsulfatase A führt zu einer Anreicherung von Stoffwechselprodukten in Zellorganellen, die als Lysosomen bezeichnet werden. Die MLD zählt daher zur Gruppe der lysosomalen Speicherkrankheiten. Mittlerweile sind etwa 200 verschiedene Mutationen im ARSA-Gen bekannt, die die Erkrankung auslösen können.

Die Überlastung der Lysosomen beeinträchtigt mehrere Körperfunktionen. Am schwersten trifft es jedoch Nervenzellen, die ihre schützende Myelinschicht verlieren und in ihrer Funktion schwer gestört werden. Es folgt ein schrittweiser Verlust von Nervengewebe, sowohl im Gehirn selbst als auch in den Nervenbahnen, die zu Armen und Beinen führen.

Der Nutzen – annähernd normale Entwicklung

Der Nutzen von Libmeldy wurde bislang bei 29 Kindern bestimmt, die im späten Säuglings- oder frühem Kindesalter an MLD erkrankten oder zu erkranken drohten. Alle Kinder waren bei der Behandlung jünger als sieben Jahre. Ihr Entwicklungszustand wurde mit dem Index der grobmotorischen Funktion (GMFM6) bestimmt und im Verlauf der Studie ständig dokumentiert.

Zwei Jahre nach der Gentherapie erreichten Kinder, die im Säuglingsalter behandelt wurden, einen GMFM-Wert von 72,5. Im Kontrast dazu erreichen Kinder ohne Behandlung meist einen Wert von etwa 7 (der Maximalwert beträgt 100). Startete die Therapie mit Libmeldy im Kleinkindalter, erreichten die Behandelten nach zwei Jahren einen durchschnittlichen Wert von 76,5, verglichen mit etwa 36 bei unbehandelten Kindern. Der Entwicklungsfortschritt von Säuglingen und Kleinkinder entsprach damit ungefähr dem von gesunden Kindern.

Libmeldy wirkte umso besser, je weniger Symptome zuvor aufgetreten waren. Bei fortgeschrittener Erkrankung – wenn die Kinder nicht mehr unabhängig gehen konnten oder geistig eingeschränkt waren – hatte die Therapie nur einen geringen Nutzen.

Bisher haben die Studien gezeigt, dass die behandelten Kinder bis zu acht Jahre lang von der Gentherapie profitieren können. Experten gehen davon aus, dass die Wirkung noch deutlich länger anhalten kann. Ob sie jedoch das ganze Leben lang aufrecht erhalten wird, ist noch unklar.

Die Therapie – Ersatz für ein fehlendes Enzym

Libmeldy gleicht den Mangel an dem Enzym ARSA aus, indem es eine korrekte Genkopie in das Erbgut von Blutstammzellen einschleust. Die körpereigenen Stammzellen werden dazu aus dem peripheren Blut oder dem Knochenmark isoliert und im Labor mit einer lentiviralen Genfähre behandelt. Die Genfähre schleust eine funktionsfähige Kopie des ARSA-Gens in das Erbgut der Stammzellen ein. Das ARSA-Gen wird dabei direkt in die DNA eingebaut und mit jeder Zellteilung weiter gegeben.

Die veränderten Stammzellen werden dann mit einer Infusion zurück in den Körper gegeben. Die Zellen wandern zum Knochenmark, siedeln sich dort wieder an und bilden neue Blutzellen. Diese Blutzellen verteilen sich im Körper und versorgen alle Gewebe mit dem vormals fehlenden Enzym.

Die genetisch veränderten Stammzellen können sich besser im Körper der Patienten ansiedeln, wenn sie genügend Raum in Knochenmark vorfinden. Daher wird vor der Gabe von Libmeldy die Zahl der körpereigenen Stammzellen im Knochenmark reduziert. Diese Form der Chemotherapie wird Konditionierung genannt und erfolgt mit dem Wirkstoff Busulfan.

Ein Nutzen ist nur zu erwarten, wenn die Erkrankung noch nicht weit fortgeschritten ist (siehe oben). Libmeldy ist daher nur für folgende Patientengruppen zugelassen:

  • Kinder mit spätinfantiler MLD, die im späten Säuglings- oder frühen Kindesalter noch keine Symptome entwickelt haben
  • Kinder im frühen Kindesalter, die nur leichte Symptome aufweisen, noch unabhängig gehen können und deren geistige Fähigkeiten noch unbeeinträchtigt sind

Die Nebenwirkungen – Antikörper gegen das Enzym

Die Nebenwirkung von Libmeldy blieben bislang eher mild. Zwar bildeten sich häufig Antikörper gegen das eingeschleuste Enzym ARSA (bei 5 von 35 behandelten Patienten7), allerdings schien die Wirkung der Therapie davon nicht beeinträchtigt zu sein. Weitere Nebenwirkungen sind bislang nicht bekannt.

Bei der Vorbereitung der Gentherapie kommt es hingegen häufig zu schweren Nebenwirkungen. Die Konditionierung mit dem Zytostatikum Busulfan kann Fieber, Azidose, Stomatitis, Erbrechen, Leberschäden und bei Mädchen auch eine Ovarialinsuffuzienz auslösen. Diese unerwünschten Reaktionen klingen allerdings in der Regel nach Ende der Chemotherapie ab.

Die Alternativen – Stammzelltransplantation nur bei wenigen Betroffenen sinnvoll

Die MLD wird sie oft erst erkannt, wenn die ersten Symptome sichtbar werden. Zu diesem Zeitpunkt ist das Nervengewebe bereits stark beeinträchtigt – diese Schäden nicht meist mehr rückgängig gemacht werden können. Die schnell einsetzende spätinfantile MLD kann daher mit konventionellen Methoden nicht ursächlich behandelt werden.

Bei den später einsetzenden Formen kann die Transplantation von körperfremden Knochenmarkstammzellen helfen. Diese Stammzellen bilden neue Blutzellen, die ein funktionsfähiges ARSA-Enzym im ganzen Körper verteilen. Der Verlauf der Erkrankung kann dann gemildert oder zum Stillstand gebracht werden. Bis die hilfreiche Wirkung das Gehirn erreicht, können allerdings bis zu zwei Jahre vergehen – der Verlust von Nervengewebe setzt sich bis dahin fort. Die Stammzelltransplantation kann daher nur wenigen Betroffenen helfen.

Die Entwicklung einer Enzymersatz-Therapie für MLD wurde eingestellt. Weitere Therapiemöglichkeiten befinden sich noch in frühen Phasen der Testung.

Die Entwicklung – italienisches Institut, britische Firma

Etwa 15 Jahre hat die Entwickelung von Libmeldy in Anspruch genommen. Das Konzept und die Methoden entwickelten Forscher am San Raffaele Telethon Institut in Mailand8.Die klinischen Studien mit den ersten drei betroffenen Kindern begannen im Jahr 2010.

Die Entwicklung erfolgten teilweise in Zusammenarbeit mit dem Pharmakonzern GlaxoSmithKline, der lange Zeit sehr aktiv im Bereich der Gentherapie war. Im Jahr 2018 zog sich GlaxoSmithKline jedoch vollständig aus diesem Feld zurück. Die Rechte an Libmeldy gingen an die britische Firma Orchard Therapeutics über. Orchard Therapeutics vermarktet auch die Gentherapie Strimvelis.

Die Zulassung durch die europäische Arzneimittelbehörde erfolgte im Dezember 2020. Ein wesentlicher Grund für die Zulassung war, dass keine wirksamen Alternativen für die Behandlung von MLD zur Verfügung stehen. Die Behörde erwartet jedoch zusätzlich eine Langzeitstudie, die den Nutzen und die Risiken von Libmeldy über mehrere Jahre hinweg dokumentieren soll.

Die Kosten – 2,88 Millionen €

In Deutschland verlangt der Hersteller Orchard Therapeutics für eine einmalige Behandlung mit Libmeldy einen Preis von 2,88 Millionen Euro2. In den USA ist der Preis für die Gentherapie (vermarktet unter dem Namen Lenmeldy) mit 4,2 Millionen US-Dollar deutlich höher.

1 European Medicines Agency (EMA), Übersicht über Libmeldy und warum es in der EU zugelassen ist, EMA/689752/2020, Dezember 2020 (Link)
2 Deutsches Ärzteblatt, Erste Kleinkinder erhalten Gentherapie mit Libmeldy gegen tödliche Erbkrankheit, Februar 2023 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 Federal Drug Agency (FDA), FDA Approves First Gene Therapy for Children with Metachromatic Leukodystrophy, Pressemitteilung, März 2024 (Link)
4 Kehrer und Menzel, Metachromatische Leukodystrophie (MLD), ELA Deutschland e.V., abgerufen März 2024 (Link)
5 A. Kohlschütter, Metachromatische Leukodystrophie (MLD) – Patientenorientierte Krankheitsbeschreibung aus dem ACHSE Netzwerk, Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen, Stand Dezember 2015 (Link)
6 CanChild Centre for Childhood Disability Research, Gross Motor Function Measure (GMFM), McMaster University Kanada, abgerufen März 2024 (Link)
7 European Medicines Agency (EMA), Libmeldy: Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, European public assessment report (EPAR), Stand März 2021 (Link)
8 Penati et al., Gene therapy for lysosomal storage disorders: recent advances for metachromatic leukodystrophy and mucopolysaccaridosis I, Journal of Inheritable Metabolic Diseases, Mai 2017 (Link)

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Kurz und knapp

  • die metachromatische Leukodystrophie ist eine seltene Erbkrankheit, die auf dem Mangel eines Stoffwechsenzyms beruht
  • der Verlust des Enzyms führt zur Anreicherung von Stoffwechselprodukten in einer Gruppe von Zellorganellen, den Lysosomen
  • Nervenzellen verlieren ihre schützende Myelinschicht und sind in ihrer Funktion stark beeinträchtigt
  • die Gentherapie Libmeldy schleust eine korrekte Kopie des ARSA-Gens in Stammzellen des Knochenmarks ein
  • neu gebildete Blutzellen verteilen sich im ganzen Körper und gleichen den Enzymmangel aus
  • behandelte Kindern können sich weitgehend normal entwickeln, wenn sie vor dem Einsetzen der Symptome behandelt werden
  • die Nebenwirkungen von Libmeldy bleiben eher mild
  • die Wirkung hält mindestens acht Jahre an, vermutlich sogar deutlich länger
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