Warum sind Gentherapien so teuer?

Bei Gentherapien müssen wenige Patienten die ganze Last der Entwicklungs- und Produktionskosten tragen. Krankenkassen und Hersteller suchen nach neuen Wegen der Finanzierung.

Kosten der Gentherapie

Lange Entwicklungszeiten, hohe laufende Kosten und geringe Patientenzahlen verteuern die Gentherapien.

Glybera war die erste Gentherapie Europas – und auch die erste, die im Jahr 2017 wieder vom Markt verschwand. Schuld daran war nicht zuletzt der hohe Preis: Die Krankenkassen hatten jeden Einzelfall streng geprüft und am Ende nur einer einzigen Patientin die Behandlung gewährt.

Ein jüngeres Beispiel stammt aus dem Jahr 2021, als die US-Firma Bluebird Bio zwei bereits zugelassene Gentherapien vom europäischen Markt zurückzog. Die Firma hatte sich nicht mit den Kassen auf einen Preis für Zynteglo und Skysona einigen können.

Die Botschaft ist klar: Hohe Kosten sind ein schwerwiegendes Problem und können den Erfolg von Gentherapien gefährden.

Warum sind Gentherapien so teuer?

Die Zurückhaltung der Kassen ist verständlich, denn Therapiekosten in Millionenhöhe setzen die Gesundheitssysteme unter Druck1,2. Der hohe Preis kommt jedoch nicht von ungefähr. Die Entwicklung und Anwendung von Gentherapien stößt auf Hürden, die konventionellen Medikamenten oft erspart bleiben3:

1. Lange und teure Entwicklung

Gentherapien werden bislang vor allem für seltene Erbkrankheiten entwickelt – Kosten und Aufwand sind dabei deutlich höher. Das erste Problem besteht darin, eine ausreichende Zahl von Teilnehmern für die Studien zu finden. Zudem stellt sich die Wirkung der Therapie oft erst nach vielen Wochen oder Monaten ein, und soll danach bestenfalls über Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte anhalten. Die Studien dauern daher meist ungewöhnlich lange.

Dazu gesellen sich erhöhte Sicherheitsauflagen. Gentherapien nutzen veränderte Viren als Transportvehikel, um fehlerfreie Gene in das Erbgut zu schleusen. In den ersten Jahren kam es dabei zu Todes- und Krebsfällen, so dass nun jahrelange Untersuchungen gefordert werden, die auch nach der Zulassung noch fortgeführt werden müssen.

Experten schätzen, dass die Entwicklung von Gentherapien mindestens acht Jahre in Anspruch nimmt und hunderte Millionen US-Dollar verschlingt4.

2. Aufwendige Herstellung und Therapie

Anders als die meisten konventionellen Medikamente eignen sich die veränderten Viren (virale Vektoren genannt) nicht für eine kostengünstige Massenproduktion. Sie werden mit großem Aufwand in spezialisierten Laboren hergestellt, und ständige Qualitätskontrollen müssen sicher stellen, dass sie keine Gefahr für den Patienten darstellen.

Zudem sind manche der Gentherapien in einem hohen Maße individualisiert. In einem mehrtägigen Prozess müssen Ärzte erst Zellen aus dem Knochenmark der Patienten isolieren. Das alte Knochenmark des Patienten wird dann zumindest teilweise zerstört, und die veränderten Zellen müssen es neu aufbauen. Dieser Prozess, der nur der Vorbereitung dient, gleicht der etablierten Knochenmarktransplantation, die allein schon mit 100 000 Euro zu Buche schlägt.

3. Kleine Zahl von Patienten

Die Zahl der möglichen Patienten für Gentherapien ist meist eher klein. Nur zwei Beispiele: Für Luxturna gibt es in Deutschland kaum mehr als 200 Betroffene, die für eine Behandlung in Frage kommen. Und bei Strimvelis werden jährlich in Europa nur etwa 15 Kinder geboren.

Diese wenigen Patienten müssen jedoch die gesamten Kosten der Entwicklung tragen. Eine einfache Rechnung besagt: Damit sich eine Therapie für den Hersteller rentiert, muss sie bei nur wenigen hundert möglichen Kunden etwa 1 Million US-Dollar kosten5. Erst wenn eine Zahl von 30 000 Patienten überschritten wird, könnten die Preise auf etwa 100 000 Dollar sinken. Doch kaum eine Erbkrankheit kommt auf derartige Patientenzahlen.

Wo liegen die Herausforderungen für die Kassen?

Der hohe Preis ist eine große Hürde, aber für sich allein kein Stolperpunkt. Denn so ungewöhnlich sind diese Beträge gar nicht – bei der Transplantation bestimmter Organe wird ebenfalls rasch die Millionengrenze überschritten. Und die konventionelle Behandlung der Immunschwäche ADA-SCID (das Ziel der Gentherapie Strimvelis) kann über die gesamte Lebenszeit gerechnet 20 Millionen Euro oder mehr kosten.

Wenn der medizinische Nutzen bewiesen ist, werden derartige Preise bereits seit langem kommentarlos akzeptiert. Doch zwei Punkte machen den Fall der Gentherapien besonders:

1. Die Bezahlung wird sofort fällig

Während konventionelle Medikamente fortlaufend verabreicht werden und die Kosten sich über die Zeit aufsummieren, wird eine Gentherapie in einem einzigen Eingriff verabreicht. Die Kosten werden sofort und auf einen Schlag fällig: Die Belastung kann für die Krankenkassen – deren Budgets meist kurze Laufzeiten haben – daher eine schwer zu verkraftende Größenordnung annehmen.

2. Die Behandlung kann nicht abgebrochen werden

Ein konventionelles Medikament, das dem Patienten nicht hilft, wird sofort abgesetzt, weitere Kosten laufen dann nicht mehr auf. Die Gentherapie kann jedoch weder unterbrochen noch rückgängig gemacht werden – unabhängig davon, ob sich die Therapie nach einigen Wochen als Erfolg herausstellt oder nicht. Nach heutigen Regeln zahlen die Kassen also selbst dann den vollen Preis, wenn sich die Behandlung bald als unwirksam erweist.

Mögliche Auswege

Gentherapien stellen für die Krankenkassen ein beträchtliches finanzielles Risiko dar. Auch die Hersteller haben dieses Problem erkannt und verstehen, dass dies den Erfolg ihrer Produkte gefährden kann. Und so sind auch sie an einer baldigen Lösung interessiert.

In dieser Diskussion spielen fünf Ansätze eine wichtige Rolle, die unserem Gesundheitssystem lange fremd waren, in anderen Ländern aber zum Teil bereits umgesetzt werden6-9.

1. Deckelung der Ausgaben

Das Gesundheitssystem könnte ein festes Budget festlegen, das nicht überschritten werden darf. Dieses Budget kann für die Gesamtausgaben gelten, aber auch für einzelne Teilbereiche oder bestimmte Medikamente. Dieses Modell wird in Frankreich praktiziert: Dort muss die Pharmaindustrie einen finanziellen Beitrag leisten, wenn der Jahresumsatz das festgelegte Budget übersteigt.

Von diesem Modell profitieren vor allem die Krankenkassen: Sie können ihre Finanzen besser planen und eine Kostenexplosion vermeiden.

Die Pharmaunternehmen hingegen müssen ggf. empfindliche Umsatzverluste hinnehmen. Noch schwerwiegender könnten die Folgen für die Patienten sein: Im schlimmsten Fall sind Therapien dann nicht für sie verfügbar oder müssen aus eigener Tasche bezahlt werden.

2. Geheimhaltung der Arzneimittelpreise

Die Preise für Arzneimittel werden in Deutschland zwischen Industrie und Krankenkassen ausgehandelt. Das Ergebnis wird veröffentlicht und kann von jedem Interessierten eingesehen werden. Dieses Verfahren sorgt für hohe Transparenz. Es hat aber auch einen gravierenden Nachteil: Andere Länder orientieren sich an den deutschen Listenpreisen – die Pharmaunternehmen haben also ein doppeltes Interesse an möglichst hohen Abschlüssen.

Die Geheimhaltung der Preise würde den Krankenkassen die Verhandlungen erleichtern und unter Umständen Kosten sparen. In einigen anderen Ländern ist dies schon länger üblich.

Geheime Preise bedeuten jedoch auch ein hohes Maß an Intransparenz. So können z.B. Ärzte bei ihren Verordnungen nicht abschätzen, welche Kosten ein Medikament verursacht.

3. Erfolgsabhängige Vergütung und Ratenmodelle

Statt die Behandlung auf einmal im Voraus zu bezahlen, werden Ratenzahlungen vereinbart, die die Kosten über einen längeren Zeitraum verteilen. Die jährliche Belastung der Krankenkassen wird dadurch verringert und die Ausgaben besser planbar. Die Hersteller können aber trotzdem auf einen verlässlichen Strom von Einnahmen bauen. Frankreich hat dieses Modell bereits im Jahr 2022 eingeführt.

Die weitere Vergütung kann zusätzlich vom Therapieerfolg abhängig gemacht werden. Regelmäßige Untersuchungen der Patienten überprüfen dann den Therapiefortschritt: Werden vorher ausgehandelte Kriterien nicht erfüllt, werden die Zahlungen gekürzt oder ganz eingestellt. Auch dies kann zu Einsparungen im Gesundheitssystem führen. In Deutschland gibt es solche Regelungen teilweise schon.

4. Preisbildung nach objektiven Kriterien

In Deutschland wird der Preis neuer Medikamente auf der Grundlage einer Nutzenbewertung verhandelt. Dieser Ansatz birgt die Gefahr, dass die Zahlungsfähigkeit des Gesundheitssystems vollständig ausgeschöpft wird.

Ein anderer Ansatz bestimmt zuvor objektive Kriterien, die den Preis eines Medikaments bestimmen. Zu diesen Kriterien können die tatsächlichen Kosten für Forschung, Entwicklung und Produktion gehören. Den Firmen wird dann eine festgelegte Gewinnspanne zugestanden, die sich auch am Innovationsgrad orientiert.

Japan konnte mit diesem Ansatz die Kosten spürbar begrenzen, ohne die Qualität der Gesundheitsversorgung zu beeinträchtigen.

5. Offenlegung der Kosten

Die kriterienbasierte Preisbildung (siehe Punkt 4) kann zu einem kostenbasierten Modell ausgebaut werden. Voraussetzung ist, dass die Pharmaunternehmen alle anfallenden Kosten offenlegen. Dazu zählen Aufwendungen für Forschung, Entwicklung und Herstellung. Vor diesem Hintergrund kann dann besser beurteilt werden, ob der Preis eines Medikaments angemessen ist.

Dieses Modell wird teilweise in Japan und den USA angewendet. In Deutschland kann es bei der Aushandlung von Rabbatverträgen zum Einsatz kommen.

Fazit

Das Schicksal von Glybera ist eine Warnung: Die Zulassung einer Gentherapie ist nicht gleichbedeutend mit ihrem Überleben. Die Kosten für das Gesundheitssystem werden ein ausschlaggebender Faktor sein10. Wenn sich Krankenkassen und Hersteller nicht auf faire Konditionen einigen, steht den Gentherapien eine höchst unsichere Zukunft bevor.

1 Gene therapies should be for all, Nature Medicine, August 2021 (Link)
2 Quinn et al., Estimating the Clinical Pipeline of Cell and Gene Therapies and Their Potential Economic Impact on the US Healthcare System, Value in Health, Juni 2019 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 The Economist, Why gene-therapy drugs are so expensive, August 2016 (Link)
4 Orkin et al., Paying for future success in gene therapy, Science, Mai 2016 (Link)
5 I. Arons, The Economics of Gene Therapy, Nature, Juni 2016 (Link)
6 E. Hayden, Gene therapies pose million-dollar conundrum, Nature, Juni 2016 (Link)
7 Carr und Bradshaw, Gene therapies: the challenge of super-high-cost treatments and how to pay for them, Regenerative Medicine, Mai 2016 (Link)
8 J. Gardener, Gene therapy: how much will it cost patients?, Vantage, Januar 2019 (Link)
9 Techniker Krankenkasse, Gentherapeutika – Hoffnungsträger oder Systemsprenger?, Studien-Broschüre, März 2024 (Link)
10 E. Silverman, To get over sticker shock, new payment models are needed for gene therapies, STAT, Mai 2016 (Link)

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Kurz und knapp

Warum sind Gentherapien so teuer?

  • lange und kostspielige Entwicklung
  • aufwendige Herstellung und Therapie
  • kleine Zahl von Patienten

Zwei Faktoren verschärfen das Problem:

  • die Bezahlung wird sofort fällig
  • die Behandlung kann nicht abgebrochen werden

Neue Modelle der Finanzierung sind gefragt:

  • Jahreszahlungen statt einer Finanzierung im Voraus
  • die Bezahlung wird abhängig vom Erfolg der Gentherapie
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